Das Reale ist nicht unmöglich, es wird nur immer mehr Roboter-ähnlich
oder
Warum der Roboter den Menschen zu fürchten hat

Vor einigen Wochen, während unseres Urlaubs in einem kleinen tschechischen Dorf stürzte plötzlich meine siebenjährige Tochter Ruth ins Zimmer und vor Aufregung nach Atem ringend rief sie mir zu: "Mama, ich muss sofort Nachrichten sehen". Erstaunt über das plötzlich erwachte Interesse meiner Tochter am politischen Geschehen, fragte ich, "Warum?" Überrascht sah sie mich an: "Na, du weißt es nicht?" "Nein", gab ich zu und begann mich innerlich auf eine Katastrophenmeldung vorzubereiten. "Na, der Roboter", sagte meine Tochter, sich über die Uninformiertheit ihrer dummen Mutter leicht genervt zeigend. "Roboter?", "Ja, den der Präsident bekommen hat." Einige Minuten später drängte sich dann tatsächlich ein kleiner, niedlich aussehender Roboter, der tschechisch sprach und aus einem Glas Champagner trank, ins Bild. Der japanische Premierminister, der gerade Prag einen Besuch abstattete, hatte ihn als Geschenk mitgebracht. Ich glaube noch nie haben in der Tschechischen Republik so viele Kinder mit solch einer Anteilnahme Nachrichten verfolgt. Kinder finden Roboter einfach cool.

Und nicht nur Kinder. Auch ich konnte mich einer Faszination durch dieses langsam, leise sich bewegende Etwas nicht entziehen, einer Faszination, die sich neben der Lust am Spielerischen dieser menschenähnlichen Maschine auch durch plötzliches Erschrecken auszeichnete, dem schleichende Angst folgte. Ähnlich lustvoll alarmiert war auch die Künstlerin Gro Lühn als sie vor einem Jahr im Kölner Museum für angewandte Kunst die Ausstellung "Ex Machina - Eine Geschichte des Roboters von 1950 bis heute" sah. Fasziniert und verängstigt zugleich machte sie den Roboter zum Thema ihrer künstlerischen Arbeit. Sie forschte nach, sammelte Informationen, nahm sogar Kontakt mit der technischen Hochschule in Aachen auf, die neben der Hochschule in Karlsruhe im Erforschen und Herstellen von Robotern führend ist.
Dabei hatte sich die Begegnung dieser Künstlerin mit dem Roboter schon seit einiger Zeit vorbereitet. Denn bereits seit einigen Jahren setzt sich Gro Lühn in ihrer Kunst mit Mustern, die in Raster übergehen, auseinander, mit Mustern als dem Prinzip einer vom Menschen geschaffenen Ordnung auf der einen Seite und der Natur auf der anderen. Eine zufällig gefundene Eulenfeder brachte sie auf die Idee, ganze Bildflächen mit Federn zu bedecken und anschließend so zu bemalen, dass regelmäßige Muster entstanden sind; gerasterte Flächen, auf denen die Federn, als Dinge der Natur, sich zu einem Muster fügen.
Noch deutlicher wurde dann diese Gegenüberstellung der Natur und einer durch den Eingriff des Menschen hergestellten Ordnung in den folgenden Rasterbildern, die eigentlich gar keine Bilder sind. Es sind aus Wachs und Pigmenten hergestellte, Scheiben in Grössen zwischen 9 und 50 cm, die die Künstlerin an der Wand zu einem von ihr bestimmten Raster anordnet. Dabei entsteht jedesmal ein anderer Raster, der unter den natürlichen Bedingungen wie dem Einfall des Lichts oder der Größe der Wand auch jedesmal ein anderes Aussehen annimmt und der jedesmal unter einem eigenen Titel geführt wird. Titel wie "Raster K-20" oder "Raster 5-8,5" spielen auf der visuellen wie semantischen Ebene bewusst auf Ordnungssysteme an, die den "Rasterbildern" einen Hauch vom technisch-wissenschaftlichen Anspruch verleihen.

Das Überführen der Natur, zumal der körperlichen und psychischen Funktionen des menschlichen Körpers in geordnete Raster - in Aufschreibsysteme - ist seit uralten Zeiten eine der Triebfedern des wissenschaftlichen, alchimistischen und wie auch immer gearteten Forschens und Tüftelns. Aus der Geschichte kennen wir den Streit zwischen den Alchimisten, den Philosophen und Theologen um die Formel, die die Welt, das Leben, ja den Gott erklärt. Und selbst heute noch sieht die am 27. Juni 2000 auf den Seiten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlichte, von dieser Zeitung als die größte wissenschaftliche Sensation unserer Zeit gefeierte, letzte Sequenz des menschlichen Genoms, die durch die vier Buchstaben V, G, A und T ausgedrückt und wie folgt anfängt: GAGGAT GTGGAG AAATAG ..., eher wie eine mittelalterliche Beschwörungsformel eines Alchimisten aus. Und trotzdem gibt sie Anlass zur Hoffnung vieler durchaus ernstzunehmender Wissenschaftler, dass es dem Menschen doch noch gelingen könnte, solch eine Formel, solch einen Raster zu finden, in dem die Funktionen des menschlichen Körpers eingeschrieben werden, zumal es bereits einigen Neurobiologen am Max Planck Institut im bayerischen Martinsried gelungen ist, Impulse lebender Organismen direkt an elektronische Aufschreibsysteme anzuschließen.
Raster waren es auch, die Gro Lühn zu Robotern geführt haben und zwar die so genannten Ouelltexte, die bestehend aus Buchstaben des Alphabets, aus Zahlen von 0 - 9 und aus orthographischen Zeichen den Funktionsablauf der Roboter aufschreiben. So begegnete die Künstlerin "Kismet", dem überhaupt ersten androiden, das heißt menschenähnlichen Roboter, und dem von der japanischen Firma Honda 2001 hergestellten ASIMO, dessen poetisch anmuten- der Name den Anfangsbuchstaben der wenig poetischen Bezeichnung "Advanced Step in Innovative Mobility" entstammt - "ASIMO", einem 120 cm großen, 43 Kilogramm wiegenden menschenähnlichen Roboter, der als Haushaltshilfe und Freund gedacht ist. Er kann sprechen - eben auch tschechisch, denn es war ASIMO, den der japanische Premierminister nach Prag brachte - er kann um die Kurve gehen und er kann die Gesichtszüge lesen und auf sie reagieren: Den Satz "Ich liebe Sie, fahren wir nach Paris" - den Gro Lühn als Titel ihrer Ausstellung gewählt hat - hält der Roboter als Aufmunterung gegen schlechte Stimmung in seinen elektronischen Gehirnwindungen bereit.

Fasziniert weniger von den technisch-elektronischen Möglichkeiten als von den interaktiven Aspekten, zu denen auch die Frage nach der menschlichen Wärme und Geborgenheit gehört, entwarf Gro Lühn einen, dem ASIMO nachgebildeten Anzug aus silbernem Stoff, der von einer Kostümbildnerin genäht wurde. In diesen Anzug steckte sie ein 9-jähriges Mädchen, das als Roboter getarnt einfache Handlungen, zum Beispiel das Eingießen einer Tasse Tee, durchführt und dabei von der Künstlerin fotografiert wird. Mit 9 Fotografien werden dann diese Handlungen in der Ausstellung dokumentiert, die eine kleine, nette menschenähnliche Maschine oder - wenn wir bedenken, dass in dem Roboteranzug ein realer Mensch steckt - einen maschinenartig agierenden Menschen zeigen. Was nun, einen Menschen oder eine Maschine? Eben, das ist ja die Frage, denn wer simuliert wen auf diesen Fotos? Die Maschine den Menschen, wie die schreitenden robotähnlichen Neongestalten, ebenfalls eine Arbeit von Gro Lühn, oder wie auf diesen Fotos, der Mensch die Maschine?
Eine Maschine herzustellen, die menschenähnlich agiert, die nicht nur ein Gespräch führen kann, sonder auch Freude, Trauer und Enttäuschung den menschlichen Gesichtszügen entnehmen und auf sie reagieren kann, war über Jahrhunderte ein Traum des Menschen. Heute scheint er reale Wirklichkeit zu werden. Maschinell hergestellte Köpfe, mit elektronischen Geräten ausgestattet, und mit einer Silikon haut überzogen und zu einem menschlichen Gesicht geformt und bemalt bevölkern längst nicht mehr nur Forschungs- und Entwicklungsinstitute. Man kann sich als Privatperson bereits heute für entsprechendes Geld einen eigenen Roboter bestellen, dem Gesichtszüge nach einer zugesandten Fotografie gegeben werden und der oder die umgekehrt die Gesichtszüge seines Bestellers oder seiner Bestellerin lesen kann. Inspiriert von diesem Verfahren lässt Gro Lühn in einer Computersimulation eine schöne asiatische Frau entstehen, die Emily heißt. Emily verfügt über 35 verschiedene Gesichtsausdrücke, die sie je nach Situation aufsetzen kann.
Mit dieser Fähigkeit gibt sie uns den Blick auf eine Zukunft frei, in der der Mann mit der entlaufenen Frau oder die Frau mit dem verstorbenen Mann demnächst weiter lachen, weinen, schimpfen und streiten können. Denn alles spricht dafür, dass wir bald streiten und lachen werden, ohne mit einem realen Menschen in Kontakt treten zu müssen - Aussichten, die nicht nur die Existenz der Psychotherapeuten und Analytiker, die überflüssig werden, bedrohen - sondern die uns bereits heute den Boden unter den Füßen wegziehen, auf dem noch zwischen dem Realen und dem Simulierten, dem Organischen und dem Künstlichen unterschieden werden konnte. "Das Reale ist nicht unmöglich, nur wird es immer künstlicher", haben bereits vor Jahren in ihrem damals aufsehenerregenden Buch "Anti-Ödipus" Gilles Deleuze und Felix Guattari behauptet.(1)

Die Faszination, die von den menschenähnlichen Maschinen wie dem ASIMO ausgeht, diesen "bionischen Robotern" auch "Humanomaten" genannt, ist nicht ganz frei von Angst. Angst davor, was dieses mensch-gewordene Ding dem Menschen antun könnte. Aus der Literaturgeschichte ist uns eine ganze Reihe von Belegen solch einer Angst überliefert. Denken wir nur an die mittelalterliche Geschichte von Rabbi Löwe und seinem Golem aus Prag, an Dr. Jekyll und Mr. Hyde, an Frankenstein und an den Uhrmacher Zacharias von Jules Verne.
Sie alle bedienen unsere mit Angst besetzten Phantasien und Wünsche nach einer menschenähnlichen Maschine. Aber was hat der Mensch von solch einer Maschine zu befürchten, was er sich bereits nicht selbst zugefügt hätte? Hat er überhaupt etwas zu befürchten?
Vergegenwärtigt man sich solche Erscheinungen wie die Fertigungsroboter und neuerdings auch die Service- und Pflegeroboter, eben den ASIMO, die hochkomplizierten Computer, die in der Medizin bei der Diagnose und Therapie eingesetzt werden, die intelligenten, ihr Ziel selbstsuchenden Waffen - auch "smart weapons" genannt - und nicht zuletzt auch die Tatsache, dass bei der Bombendrohung vor einigen Wochen am Leipziger Bahnhof ein Roboter zum Entschärfen der Bombe ins Feld geschickt wurde, dann könnte man tatsächlich meinen, dass der Mensch mit seinem Vorhaben, ein menschenähnliches Ding zu schaffen, bereits sehr weit gekommen ist.
Sieht man andererseits, wie weit über Hörgeräte, Kontaktlinsen, Herzschrittmacher, synthetische Arterien, Gelenke, Brüste und Penissteifmacher die Maschine in die Leiblichkeit des Menschen eingedrungen ist, so könnte man sagen, dass der Mensch selbst ziemliche Fortschritte gemacht hat in Richtung darauf, ein maschinenähnliches Ding zu sein, dessen körperliche und psychische Funktionen, die ihn einst ausgemacht haben, zunehmend durch elektronisch gesteuerte Maschinen ersetzt werden. Und denkt man weiter in dieser Logik so nähert sich der durch derartige Prothetisierung zu einer Maschine gestützte Mensch immer mehr einer mit Silikon als Haut überzogenen elektronischen Maschine, die in ihrer interaktiven Kompetenz - erinnern wir uns nur an den Trost spendenden ASIMO - dem Menschen in nichts nachsteht. Kurz: die über Jahrhunderte das europäische Denken bestimmende Unterscheidung zwischen der Natur des Menschen, als einer sprechenden und der Natur des Dings als einer stummen, der Sprache ohnmächtigen Erscheinung schwindet. Der Mensch wird zur Maschine, die Maschine zum Menschen, aber Vorsicht; was hat die niedliche, tschechisch sprechende und Champagner trinkende Maschine vom Menschen zu erwarten? Ist es nicht die Maschine, die den Meschen zu fürchten hat?
Denn mit der Angst des Menschen vor der menschenähnlichen Maschine, das heißt vor dem Schwinden der Grenze zwischen Mensch und Ding, stimmt es nicht ganz. Eigentlich hat dem Menschen dieses Schwinden immer schon auch Lust bereitet und die Angst, von der ich vorher sprach, wurde dem Menschen in dem Maße bewusst, wie sich ihm darin auch unbewusste Wünsche erfüllten. Die literarischen Überlieferungen über das Zerstörerische der Maschine, ob Golem, Dr. Jekyll oder Frankenstein sind Metapher solch einer Angst vor den Wünschen des eigenen Unbewussten, die als Selbstbestrafungsfantasien zu verstehen sind.
Denn so kränkend es für den Menschen in seinem Selbstbewusstsein auch sein mag, so lustvoll ist er bereit sich der Maschine auszuliefern und den Unterschied zwischen ihm und der Maschine schwinden zu lassen. Das Geschlechtsleben ist nicht erst seit James Browns "Like a Sex Machine" ein gutes Beispiel für eine derartige mit Lust erfüllte Aufhebung der Grenzen. Schon das Fahrradfahren, der Umgang mit einem Spielzeug- eben mit einem Roboter - und erst das Steuern schneller Autos kann Wollust bereiten und Träume erfüllen. Und wie ist es mit der Bereitschaft, Teil einer Kriegsmaschinerie oder einer religiösen Gemeinschaftsmaschinerie zu werden?

Ich habe gefragt, ob nicht die Maschine eher den Menschen als der Mensch die Maschine zu fürchten habe? In seinem Katalogbeitrag zu der Ausstellung "Ex Machina" des Kölner Museums für Angewandte Kunst, die Gro Lühn begeistert hat, spricht auch Friedrich W. Heubach von der "Nichtmehr Unterscheidbarkeit von Mensch und Maschine", die er weniger als ein Abschied von diesem Unterschied sieht, eher als ein Abschied von dem, was es heute heißt, ein Mensch zu sein: "Eine Maschine wird erst dann als menschengleich anzusprechen sein, wenn sie sich angesichts einer Maschine fragt, ob das eine Maschine ist oder ihresgleichen. Ein Mensch." (2) Sollte die Maschine tatsächlich zum Menschen werden, dann sind ihre Befürchtungen mehr als berechtigt: Denn keiner hat dem Menschen gegenüber soviel Zerstörungspotenzial mobilisiert wie die von ihren Fantasien getriebene Wunschmaschine: Mensch.

Noemi Smolik

Text anlässlich der Ausstellung "Ich liebe Sie, sagte der Roboter, fahren wir nach Paris ?"
Stadthausgalerie, Münster, 2003.
Der Text wurde publiziert in dem Katalog Gro Lühn, herausgegeben vom Kulturamt der Stadt Münster, 2003

1 Gilles Deleuze, Felix Guttari, "Anti-Ödipus", Frankfurt am Main 1979, 5.45
2 Friedrich W. Heubach, in: Ausstellungskatalog "Ex Machina - Eine Geschichte des Roboters von 1950 bis heute", Köln 2002, 5.104